Kürzlich habe ich einen interessanten juristischen Beitrag über die Frage der Immunität im Sportrecht gelesen. Dieser Beitrag beleuchtete diverse aktuelle Fälle im Sportrecht unter Beizug auf antike Präzedenzfälle, um damit die Frage der Haftbarkeit unter strafrechtlichen Bestimmungen zu beleuchten. Das Sportrecht ist ein spezielles Rechtsgebiet und hat dazu auch ein eigenes Gericht, nämlich der Internationale Sportgerichtshof (TAS/CAS). Dieser Gerichtshof erlässt Disziplinarmassnahmen gegen Sportler, welche Regelverletzungen begangen haben. Diese Regelverletzungen sind ein Teil einer sportlichen Handlung. Daneben flammen aber auch zivilrechtliche und strafrechtliche Ansprüche auf, die von den jeweiligen nationalen Gerichten beurteilt werden müssen. Im Zivilrecht spricht man von Haftung, die monetär abgegolten wird und im Strafrecht wird geprüft, ob die Tat in einer Form verübt wurde, die zur Bestrafung gemäss Strafgesetzbuch gereicht. Die Abklärungen dazu sind teilweise gleich – denn es geht um die prinzipielle Frage der Schuld. Im Zivilrecht und im Strafrecht kennen wir das Prinzip der Fahrlässigkeit und des Vorsatzes, wobei im Strafrecht zwischen objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmalen unterschieden wird. Das Erstere betrifft Dinge, die von aussen objektiv wahrgenommen werden können und das Letztere, was sich im Innern des Täters abspielt, also seine Beweggründe.
Im Sport passieren immer wieder Unfälle, die im Eifer des Gefechts erfolgen oder dann auch absichtlich, d.h. mittels Regelverstosses, um den Gegner zu behindern und sich dadurch einen Spielvorteil zu verschaffen. Es kann aber auch durchaus passieren, dass unbeteiligte Dritte, d.h. Helfer oder Zuschauer zu Schaden kommen. Hat dann der Sportler, der diesen Schaden in Ausübung seines Sports verursacht, eine verminderte Haftbarkeit – gar eine Sportimmunität? In Kontaktsportarten, wie Fussball, Eishockey etc. sind diese Haftungsfragen zwischen Sportlern tägliches Brot des CAS und der nationalen Gerichte. Beim Pferdesport ist der Kontakt zwischen den Sportlern mit ihrem Sportpartner, dem Pferd gegeben. Das Pferd ist dabei ein potentielles «Werkzeug», um Schaden bei anderen zu verursachen. Der Reiter und Pferdehalter spielt hierzu ebenso eine Rolle, da es ihm obliegt, die gängigen Sport- und Sicherheitsregeln einzuhalten, das Pferd unter Kontrolle zu halten und diesem auch durch richtiges Management und Training die Konditionen zu verschaffen, sich «sicher» und kontrolliert verhalten zu können. Wir alle wissen, dass dies nur zu einem Teil möglich ist, da Pferde Fluchttiere sind und immer eine Variable X verbleibt. Dennoch liegt es an uns, dafür zu sorgen, dass das Unfallrisiko maximal minimiert wird. Dies unter anderem auch durch Einhaltung von Etikette beim Abreiten bei Veranstaltungen und dergleichen.
Dazu ein Fall aus dem Westernsport. Anlässlich einer geführten Klasse ereignete sich ein Unfall, nachdem die Siegerehrung stattgefunden und sich die Pferde mit ihren Führpersonen zum Ausgang der Arena begeben hatten. Es gab einen Rückstau und die Pferde konnten nicht im gesicherten Abstand zueinander aus der Arena hinaus. Durch diesen Rückstau wurde ein Pferd nervös und schlug nach hinten aus. Dabei traf er eine junge Frau in den Bauch, die sofort zusammenbrach und dabei schwer verletzt wurde. Es stellte sich nun die Frage, wer für diesen Vorfall einzustehen hat.
Dabei sind folgende Parteien mögliche Schuldner:
- das tretende Pferd
- derjenige, der das tretende Pferd geführt hat
- der Eigentümer des schlagenden Pferdes, falls er es nicht geführt hat
- Das Pferd vor und hinter diesem tretenden Pferd
- die jeweiligen führenden Personen dieser Pferde
- oder die Eigentümer dieser Pferde, falls diese die Pferde nicht geführt haben
- der Veranstalter
- die Zuschauer
- das Opfer
Nach dem heutigen Rechtsverständnis ist das Pferd selbst nicht wirklich Kandidat für einen Haftungsfall – gemäss den Sophisten jedoch schon. Dies war vor allem eine philosophische Betrachtungsweise. Betrachtet man aber diese potentielle Schuldnerliste nach den heutigen juristischen Aspekten, stellt man fest, dass die Beantwortung der Schuldfrage einer Detektivarbeit bedarf, um die Wurzel des Geschehens heraus zu finden und damit auch eine Schuld zuordnen zu können.
Nach römischem Recht, der «lex Aquilia» wurde hergeleitet, dass Sportler während der ausgeübten Tätigkeit verursachte Schäden nicht schon bei Fahrlässigkeit als haftbar befunden werden können, sondern erst, wenn sie den Schaden vorsätzlich, also mit Wissen und Willen um den heranzuführenden Schaden, verursacht haben. Heute haben wir das Privileg, dass sogenannte Sportfälle vor dem CAS ausgetragen werden können. Nichtsdestotrotz ist das Strafrecht involviert, wenn jemand verletzt wird. Dabei wird der nur leicht verletzten Person die Freiheit eingeräumt, auf eine Strafverfolgung zu verzichten. Bei einer schweren Schädigung obliegt es aber nicht mehr an der verletzten Person darüber zu befinden. In diesem Fall greift die Staatsanwaltschaft von Amtes wegen ein und beginnt mit der Falluntersuchung. Das Bundesgericht hat dazu in diversen Entscheiden definiert, was eine schwere Körperverletzung ist. Darauf gehe ich hier nicht spezifisch ein und fasse lediglich zusammen, dass in der Regel von schweren Fällen ausgegangen wird, wenn die verletzte Person in Todesgefahr gebracht wurde.
Art. 125 Fahrlässige Körperverletzung
1 Wer fahrlässig einen Menschen am Körper oder an der Gesundheit schädigt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe160 bestraft.
2 Ist die Schädigung schwer, so wird der Täter von Amtes wegen verfolgt.
In unserem Fall war die junge Frau schwer verletzt und schwebte in Todesgefahr. Eine staatsanwaltschaftliche Untersuchung wurde eingeleitet. Das Bundesgericht hat sich ebenso mehrfach schon mit der Frage der Sportlerhaftung auseinandergesetzt und deren Entscheide sind in der Lehre hoch umstritten. So wurde im Entscheid 2019 (BGE 145 IV 154) die strafrechtliche Haftung des Fussballspielers bestätigt, in einem späteren Entscheid und einem vergleichbaren Fall aber eine solche Haftung abgelehnt (BGer 6B_1060/2019 vom 15. Januar 2020). Es stellt sich deshalb die Frage, ob grundsätzlich Körperverletzungen im sportlichen Kontext anders bestraft werden sollen, als andere Verletzungen – gibt es demnach tatsächlich eine sportliche Immunität? Die Idee ist dabei, dass Sportler, die sich in den Wettkampf gegenseitig messen, auch implizit dazu bereit erklären, ein gewisses Unfallrisiko damit einzugehen und eine Art stillschweigendes Einverständnis dazu geben. Nach unserem geltenden Recht kann ein Einverständnis zu Körperverletzung erteilt werden, so dass für die schädigende Person keine strafrechtlichen Folgen generiert werden. Ein Beispiel dafür ist die Einwilligung zu einer Zahnbehandlung durch einen Zahnarzt. Dieses Einverständnis ist aber auf eine konkrete Handlung und gegenüber einer konkreten Person erteilt. Im Sport sind mehrere Teilnehmer dabei und man müsste dann davon ausgehen, dass man ein Generaleinverständnis zu potentiellen Schädigungen, die aus der Wettkampfaktivität sich ergeben könnten, erteilt. Dies ist meines Erachtens problematisch.
Das Bundesgericht hielt im jüngeren Entscheid vom 15. Januar 2020 fest, dass nur ein nach Umständen als grob zu beurteilendes Fehlverhalten eine strafrechtliche Sanktion auslösen kann, d.h. dass dieses Fehlverhalten über die Grenzen des stillschweigenden Einverständnisses des Sportlers zum Verletzungsrisiko hinausgehen muss. Einzig die Schwere der Sorgfaltspflichtverletzung ist dabei ausschlaggebend. Ich persönlich befürworte diese neuere Rechtsprechung, die im Übrigen auch an den Geist der Antike und damit der lex Aquilia anknüpft.
Oberstes Gebot ist nach wie vor die Wahrung der Sorgfaltspflicht und der Einhaltung der Sportart spezifischer Regeln. Diese sind vom Veranstalter und von jedem einzelnen Sportler zu beachten. Wir haben in unserem Sport dazu General- und Disziplinreglemente, die auch zur Unfallverhütung beitragen sowie die Etikette. Ein allseits bekannter und anerkannter Verhaltenskodex.
Im vorliegenden Fall wäre sicherlich zu überprüfen, ob dieser Stau nicht durch bessere Organisation des Veranstalters hätte verhindert werden können, ebenso ist das Eigen- und Fremdverschulden der direkt und indirekt beteiligten Personen genau abzuklären. Fakt ist – bei aller Schuldfindung – ein Unfall hat trotz geklärter Schuldfrage und dem gerichtlichen Verdikt immer einen fahlen Nachgeschmack. Darum erinnere ich gerne nochmals daran, Vorsicht und Weitsicht walten zu lassen. Go with the flow … aber bitte mit Köpfchen.
Lara Beaudouin, Rechtsanwältin
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