Anfang November trafen sich Pferdefachleute im Vorlesungssaal der Vetsuisse Fakultät UZH zum diesjährigen Symposium Pferde. Ausgesuchte Referentinnen und Referenten gaben den Teilnehmenden aus verschiedenen Blickwinkeln einen Einblick in die heutige Futterkammer. Das Interesse am Thema «Pferdegastronomie» ist gross. Trotz Zertifikatspflicht waren die Zuschauerränge bis zum letzten Platz ausgebucht.
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Die Fütterung unserer Pferde wird immer mehr zum Reizthema und scheint mancherorts aus den Fugen zu geraten. Liebe geht bekanntlich durch den Magen und die Liebe zu unseren Pferden ist gross. Wir wollen nur das allerbeste für ihre Gesundheit – geht es ihnen gut, so geht es uns auch gut. Die Futtermittelindustrie freut sich über diese Entwicklung und bringt munter Produkte auf den Markt. Futterberatungen sind im Trend, doch nicht immer seriös, Social Media und Dr. Google runden das Ganze ab. Das Fazit: Um die Gesundheit unserer Pferde steht es oft nicht so gut wie wir denken. Hier ein Querschnitt durch alle Fachreferate.
Was ist die Definition von Gesundheit?
Dieser Frage stellte sich die unter anderem für Tierernährung und Diätetik diplomierte Veterinärin Anne Mösseler. Sie zitiert die von der WHO herausgegebene Definition von Gesundheit: «Gesundheit ist der Zustand völligen psychischen, physischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheiten und Gebrechen». Für die Gesunderhaltung unserer Pferde sind die Fütterungs- und Haltungsbedingungen entscheidend. Soziale Kontakte, Licht, Luft, genügend Auslauf und eine artgerechte, auf das Alter und der Bewegung angepasste Ernährung sind die Grundpfeiler. Ob ein Pferd zufrieden ist und sich wohlfühlt, ist nicht immer auf den ersten Blick zu erkennen und braucht manchmal ein geschultes Auge, aber auch eine gewisse Sensibilität und eine gute Beobachtungsgabe. Genauso ein geschultes Auge ist dann erforderlich, wenn wir den Ernährungszustand beurteilen müssen.
Zu dick, zu dünn, glänzt das Fell?
Wir selbst können uns jeden Tag auf die Waage stellen, wenn wir das wollen. Unsere Pferde hingegen sind auf unsere Wahrnehmung in Bezug auf ihr Gewicht und äussere Erscheinung angewiesen. Doch manchen fehlt vielleicht schlicht der Abstand zu ihren Tieren, um eine drohende Entgleisung zu erkennen. Und dann ist halt da noch die Liebe, die durch den Magen geht. Tatsache ist, dass viele Pferde, Ponys und Esel zu dick sind. Die Wahrnehmung in Bezug auf den idealen Ernährungszustand hat sich in den letzten Jahren verschoben. Pferde, die ein Idealgewicht aufweisen, werden gerne als zu dünn empfunden. Ein schleichender Prozess, der vor Jahren begonnen hat, manifestiert sich immer mehr in gesundheitlichen Problemen: Equines metabolisches Syndrom (EMS), Kotwasser, Koliken oder Hufrehe.
Was ist die Ernährung?
Die richtige Ernährung nach einem bestimmten Schema gibt es nicht. Jedes Pferd ist nach Rasse, Alter, Haltungsweise und körperlicher Auslastung zu beurteilen, erklärte Constanze Röhm in ihrem interessanten, wie man sie kennt, gewohnt unterhaltsamen Referat. Dass die Futterzusammenstellung und Menge eines Warmblutsportpferdes nicht gleich ist wie die eines Ponys, scheint klar zu sein. Die genetische Varianz spielt eine gewichtige Rolle in der Zusammenstellung eines Futterplans. Stockmass, Körpermasse, Haarmenge, Bemuskelung, Röhrbeinumfang, Rumpfumfang und Körperlänge sind Einflussfaktoren auf die Ernährung.
Was jedoch alle verbindet, egal ob gross, klein oder welcher Herkunft, ist ein gutes Raufutter als artgerechte Basis – natürlich in der für sie angepassten Menge. Die Qualität des Raufutters lässt in unseren Breitengraden leider immer mehr zu wünschen übrig. Der Klimawandel ist auch hier spürbar. Ein verregneter Sommer ist nicht ideal für die Heuernte und überdüngte, zu fette Weiden liefern nun mal kein Heu was unseren Pferden auf Dauer guttut. Schimmelpilzsporen können arg zu schaffen machen und outen sich bei sensiblen Pferden in Atemwegserkrankungen und Kotwasser. Man sollte das Tabuproblem Heuqualität nicht unter den Teppich kehren und ansprechen. Ist die Heuernte schlecht, besteht vielleicht die Notwendigkeit Heu aus dem Ausland zuzukaufen. Dies beeinflusst wiederum den Pensionspreis. Hier sollten Pferdebesitzerinnen und -besitzer ihren Pferden zuliebe mehr Toleranz an den Tag legen.
Auch Heu ad libitum wird nicht mehr gutgeheissen. Lange Fresspausen müsse man vermeiden, da sind sich alle einig, aber die Menge der Aufnahme sollte man steuern können. Hierfür gibt es die unterschiedlichsten Erfindungen vom Heunetz in allen Formen, zum «Heutoy» bis zum «Portagrazer» und selbstgebauten Lösungen. Doch auch hier ist die Wahrnehmung der Pferdehalter wichtig. Kommt mein Pferd damit zurecht? Wird das Herauszupfen des Raufutters zu mühsam, kann auch Frust entstehen. Die Angst vor Haltungsschäden wegen einer unnatürlichen Kopfstellung konnte hingegen wissenschaftlich noch nicht bestätigt werden. Besonders bei Heunetzen ist auf die Sicherheit zu achten. Beschlagene Pferde können mit den Eisen in Netzen hängenbleiben und verunfallen. Bei der Heufütterung geht es nicht nur um die Futteraufnahme, sondern auch um Beschäftigung. Totholz wie Hasel, Weide, Birke, Buche oder dicke Äste von Obstbäumen eigenen sich hervorragend als Alternative. Und wer die Biodiversität auf seinem Hof fördern möchte, der pflanzt in Reichweite von Paddocks und Ausläufen fressbare Büsche und Bäume.
Wenn die Fütterung und Supplementierung entgleist
Futterberatungen geniessen zurzeit einen Aufschwung, doch nicht alle sind seriös und können bisweilen skurrile Formen annehmen, wie der empfohlene Ernährungsplan einer Kundin von Constanze Röhm zeigt. Wenn Nahrungsergänzungen für Menschen Einzug in die Futterkrippen halten, ist es definitiv entgleist.
Ist die «Suplementiasis» artgerecht? Diese und andere Fragen beschäftigt Professorin und Tierärztin Ingrid Vervuert von der Veterinär-medizinischen Fakultät der Universität Leipzig. «Die adäquate Zufuhr von Spurenelementen ist für die Erhaltung der Gesundheit und das Erbringen von Leistung unabdinglich in der Pferdefütterung», erklärt Vervuert. Spurenelemente wie Eisen und Mangan werden bereits über das Grundfutter wie Heu abgedeckt. Kupfer und Zink seien hingegen nicht eindeutig einzuschätzen, da die Gehalte je nach Ernte und Region sehr variabel sein können. Da Heu oder Gras einen geringen Anteil an Selen enthalten und jodarm sind, mache hier eine Zugabe Sinn. In ihrem Referat sprach sie auch das Thema Haaranalysen an. Es sei schwierig genaue Werte über Haaranalysen festzustellen mit Ausnahme toxischer Schwermetalle wie Blei, Cadmium, Quecksilber oder Selen bei einer Selenüberversorgung (Selenvergiftung). Es komme zudem sehr darauf an, welches Haar man verwende. Die Futtermittelhygiene des Raufutters und eine Versorgung mit ausreichend hygienisch einwandfreiem Trinkwasser, ist aus Sicht von Ingrid Vervuert Bestandteil einer artgerechten Fütterung.
Alle Futtermittel in der Schweiz sind einer strengen Kontrolle unterworfen und nicht nur die Futtermittel selbst, sondern auch die Hersteller werden regelmässig geprüft. Thomas Hinterberger ist Leiter der amtlichen Futtermittelkontrolle AFK, deren Aufgabe es ist, die Sicherheit für Mensch und Tier und die Qualität der Futtermittel sicherzustellen. Das Amt mit insgesamt acht Mitarbeitenden ist auch zuständig für die Registrierung und Zulassung von Produkten. So brauchen beispielsweise auch Tierärzte die Futtermittel abgeben eine Zulassung. «Neu ist das Füttern von Hanfprodukten, inklusive Futtermittel mit CBD-haltigem Hanfextrakt nicht mehr erlaubt», erklärt Thomas Hinterberger gleich zu Beginn seines Referats. Aus Sicht der Futtermittelgesetzgebung sind Pferde immer Nutztiere. Hygiene, Dioxinüberwachung, Lagerung und Beförderung, aber auch die Dokumentation der Rückverfolgbarkeit, sowie Beanstandungen und Produkterückrufe werden überprüft. 2021 wurden etwa 30 Ergänzungsfuttermittel kontrolliert und 350 bis 400 Inspektionen gemacht. Immer mehr geraten auch Produkte aus dem Onlinehandlung ins Visier der Prüfstelle. Heilanpreisungen sind verboten. Besonders in Onlineshops wird dies manchmal nicht beachtet. «Auch Kräutermischungen können ein Problem sein, nicht alle Kräuter sind für Pferde geeignet, erklärt er. Es ist die Aufgabe von Thomas Hinterberger und seinem Team, diese zu prüfen.
Pferdefütterung ist ein emotionales Thema
Unwissen, Unsicherheiten und Angst werden von der Tierfutterindustrie marketingstrategisch ausgenutzt – unter dem Strich ist «emotional selling» der Terminus dafür. Wie können Pferdebesitzer*innen sicher gehen, dass ihre Lieblinge richtig gefüttert werden? Fachwissen ist die Antwort, «ABER» das Problem! Tierärztin Bettigna Musterle denkt in dem ihr zur Verfügung stehenden Zeitfenster laut über die Situation im Alltag ihrer Zunft nach und stösst auf grosse Zustimmung in den Reihen der Symposium-Teilnehmenden. Es entsteht eine längere Diskussion und als Zuhörende nimmt man eine gewisse Frustration wahr, welche bei einigen bereits in Resignation endet. Zunehmend wird das Fachwissen von seriös ausgebildeten Fachkräften ständig hinterfragt. In Zeiten, in denen Fake-News, Verschwörungstheorien, Halb- und Unwahrheiten in Foren und in den sozialen Medien die Runde machen, wird es zusehends schwieriger Tierhalterinnen und Tierhalter zu beraten und zu begleiten, auch in Ernährungsfragen. «Die Kernfaktoren einer sinnvollen und wissenschaftlich fundierten Beratung ist das Wissen und die Fähigkeit das entsprechende Pferd gemäss seiner genetischen Varianz einzuordnen, eine Vor-Ort-Begutachtung vom Tier und seiner Haltung, und Zeit», erklärt Constanze Röhm. Diese Punkte zeichnen eine seriöse Futterberatung aus.
Einmal mehr hat es Corinne Hauser geschafft, namhafte Referentinnen und Referenten einzuladen und ein spannendes und hochinteressantes Symposium auf die Beine zu stellen. Lucas Anderes, ehemaliger Präsident Verein Pro Pferd und Stiftungsrat, begleitete souverän durch den Tag und moderierte als leidenschaftlicher Pferdebesitzer. Ein grosses Dankeschön an beide und an alle Beteiligten. Man darf auf das Thema im nächsten Jahr gespannt sein.
Übersicht Referentinnen und Referenten
Die Referierenden haben einen Grossteil bis die gesamte Summe ihres Honorars für die Forschung gespendet.
PD Dr. med. vet. Anne Mösseler
Thomas Hinterberger
Prof. Dr. med. vet. Ingrid Vervuert
Med. vet. Solange Oesch, Residentin ECEIM
Christa Wyss, Ing. Agr. ETHZ
Constanze Röhm, MSc
Johanna Besier, Brigitte Strickler, Ruedi von Niederhäusern und Ueli Wyss
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