IENA Academy: Das Wohlbefinden unserer Pferde

Wie können Besitzer das Wohlbefinden unserer Pferde beurteilen. Diese Frage stellten sich einige Fachreferent*innen im Rahmen diverser Studien und trugen ihre Erkenntnisse an einem eintägigen Seminar der IENA Academy in Avenches vor. Zudem wurde eine App vorgestellt, welche zum Zweck entwickelt wurde, den Grad des Wohlbefindens eines Pferdes in seinen spezifischen Haltungs- und Trainingsumständen zu ermitteln.

Das Seminar war gut besucht. Die Tatsache, dass in Französisch und Englisch referiert wurde, hielt auch viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus der deutschen Schweiz nicht davon ab nach Avenches zu reisen. Es wurde simultanübersetzt und alle Präsentationen wurden bereits zu Beginn auf einem USB-Stick abgegeben.

Das Interesse am Thema ist gross. Vor dem Hintergrund, dass die Reiterszene in der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen wird, machen sich immer mehr darüber Gedanken, wie es um das Wohlbefinden unserer Equiden denn wirklich steht. Vor- und Nachteile der verschiedenen Haltungsformen und ihre Auswirkungen, positive wie negative, auf das Verhalten gegenüber Artgenossen und uns Menschen, aber auch auf die sportliche Leistungsfähigkeit bis hin zur Frage, dürfen wir Pferde wirklich reiten?

Das Wohl der Tiere ist nicht erst seit heute ein Thema, erklärt Fabien Loup, Tierarzt und Mitglied des IENA Academy Lenkungsrats. Bereits im 19. Jahrhundert gab es kantonale Bestimmungen und ein Verbot von Tierquälerei und einen Schutz vor Überanstrengung von Pferden. Seither wurden viele Bestrebungen unternommen den Tierschutz gesetzlich zu regeln, wie etwa im europäischen Übereinkommen zum Schutz von landwirtschaftlichen Tieren oder unser schweizerisches Tierschutzgesetz. Insbesondere Begriffe wie Würde, Respekt und Wohlergehen erhielten Einzug in die Gesetzesartikel und die Tatsache, dass Tiere rechtlich nicht mehr als Sache betrachtet werden, war ein Meilenstein im schweizerischen Tierschutz und stellte ein Umbruch in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit dar.

Laura Battiato (Adobe Stock)

Auszug aus dem schweizerischen Tierschutzgesetz
Art. 3 Definition

Würde: Der Eigenwert des Tieres, der von den Personen, die es betreuen, respektiert werden muss. Die Würde des Tieres wird verletzt, wenn der ihm auferlegte Zwang nicht durch überwiegende Interessen gerechtfertigt werden kann.

Ein Zwang liegt insbesondere dann vor, wenn dem Tier Schmerzen, Leiden oder Schäden zugefügt werden, wenn es in einen Zustand der Angst versetzt oder erniedrigt wird, wenn es Eingriffen unterzogen wird, die seinen Phänotyp oder seine Fähigkeiten grundlegend verändern, oder wenn es übermässig instrumentalisiert wird. 

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Das Wohlergehen eines Tieres ist sein Zustand in Bezug auf seine Versuche,
mit seiner Umwelt zurechtzukommen (Broom, 1990).

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Wie kann man das Wohlbefinden beim Pferd messen?

Es gibt verschiedene Ansätze, um das Wohlbefinden zu messen, erklärt Barbara Padalino von der Universität Bolonia. Sie hebt in ihrem Vortrag das European Project of Welfare Quality hervor das sich auf vier Prinzipien stützt:

  1. Gute Fütterung: Frei von Hunger und Durst.
  2. Gute Unterbringung: Genügend Liegemöglichkeiten, genügend freie Bewegung und die Möglichkeit, ihre natürliche Thermoregulierung anzupassen (hier geht man von einer Wohlfühltemperatur zwischen 5 bis 25°C aus).
  3. Gutes Verhalten: Die Möglichkeit artgerechtes Verhalten auszuleben, eine gute Pferd–Mensch–Beziehung, ein positiver emotionaler Zustand.
  4. Gute Gesundheit: Frei von Verletzungen und Krankheiten; frei von Angst, Schmerzen und Stress, verursacht durch das Management.

«Um zu verstehen was Pferde brauchen, um sich wohlzufühlen, sollten wir ihre Lebensumstände aus ihrer Sichtweise betrachten», so Barbara Padalino. Das vertiefte Wissen über die Grundbedürfnisse, ist die Basis für ein tierschutzgerechtes Management unserer Pferde. Es ist egal ob im Sport, in der Freizeit, als Schulpferde und auch als Nutztiere zur Schlachtung.

Wissen allein genügt jedoch nicht. Wir müssen unsere Fähigkeit trainieren, zu beobachten, um eine Situation richtig einschätzen zu können. Als Beispiel hat ein Pferd in einer Gruppenhaltung von aussen betrachtet genügend Liegefläche, genügend Bewegung, ausreichend Futter und Wasser, kann artgerechtes Verhalten ausleben und freut sich, wenn sein Mensch es aus der Herde holt, um mit ihm Zeit zu verbringen. Wenn man genauer hinschaut, kann es sein, dass es aufgrund der Zusammenstellung der Gruppe zu Problemen kommen kann, die sich erst nach einer gewissen Zeit manifestieren. Dies können zu wenig Schlaf, Stress, Verletzungen und Unwohlsein sein. Andererseits ist erwiesen, dass die Haltung in einer Herde – im Vergleich zur Boxenhaltung – die psychische und physische Fitness fördert – sich die Pferde ausgeglichener und wohler fühlen und dadurch leistungsbereiter sind. Ein Balanceakt, abhängig von unserem Wissen, unserer Beobachtungsgabe und den daraus resultierenden Schlüssen und dem Management.

Alice Ruet vom Institut francais du cheval et de l’equitation stellt in ihrem Vortrag eine App vor, die entsprechende Parameter vorgibt und das Pferde-Wohlbefinden messbar macht. Sie ist für alle downloadbar und man kann die gemessenen Daten, wenn man will, dem Institut für Forschungszwecke zur Verfügung stellen. Leider gibt es diese App erst in französisch.

Sind Sport und das Wohlergehen unserer Pferde vereinbar?

Emanuela Dalla Costa von der Universität Mailand beschäftigt sich mit der Verbindung zwischen dem Sport und dem Wohlergehen der Pferde. Einem Pferd geht es oberflächlich gesehen gut, wenn es frei von Schmerzen und in einem guten mentalen und körperlichen Zustand ist und positive Emotionen zeigt. Die mentale Fitness ist ein zentraler Punkt. Je nach Sportart findet ihr Leben zwischen ihrer Box und dem Trainingsplatz statt. Äussere Reize werden ihnen vorenthalten, was besonders für junge Pferde negative Folgen hat. Sie können eine Unfähigkeit entwickeln mit Umweltstressoren zurechtzukommen, denen sie später in ihrem Leben begegnen. Sie stehen während ihrer Karriere gerne in einem Kreislauf aus mentaler Ermüdung und negativen Emotionen. «Wissenschaftliche Ergebnisse haben gezeigt, dass niedrige und mittlere Cortisolspiegel das Lernen und das Gedächtnis verbessern, während hohe Werte eine schlechte Auswirkung haben. Niemand kann gute Leistungen erbringen, wenn das Gehirn mit «Kampf- oder Fluchtchemikalien» bombardiert wird», so Emanuela Dalla Costa.

PP-Folie von Emanuela Dalla Costa

 

Schmerzen sind ein grosses Problem im Pferdesport. Studien haben ergeben, dass Lahmheit und Rückenschmerzen häufig bei Sportpferden mit einer geschätzten Prävalenz zwischen

27 bis 100% der «gesunden» gerittenen Pferdepopulation einhergeht.
(Landman et al., 2004; Fonseca et al., 2006; Visser et al., 2014; Greveand Dyson, 2014) 

Magengeschwüre führen zu chronischen Unterleibsschmerzen und haben eine geschätzte Prävalenz von 49 bis 89% der Sportpferde (Rennpferde, Ausdauer, Showpferde). (Nieto et al., 2004; Bell et al., 2011; McClue et al., 1999)

Wenn es um unser Wohlfühlstatus geht, sprechen wir Menschen im Allgemeinen von Work-Life-Balance. Gerät dieses aus dem Gleichgewicht fühlen wir uns unwohl, unzufrieden und irgendwann kommt die Erschöpfung, die in Krankheiten resultieren kann, wenn wir nicht frühzeitig etwas an unserer Lebenssituation ändern. Betrachten wir Sportpferde aus dieser Perspektive und hinterfragen regelmässig ihre Lebenssituation vor dem Hintergrund der vier genannten Prinzipien, dann lässt sich Sport und Pferdewohlergehen in einem Satz vereinen.

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Weder Gesundheit noch mangelnder Stress oder Fitness sind notwendig oder ausreichend,
um auf das Wohlergehen eines Tieres zu schliessen.
Das Wohlergehen hängt davon ab, was die Tiere fühlen. (Duncan, 1996)

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Die anderen 23 Stunden

Ungeachtet dessen wie das Pferd eingesetzt wird, sollten wir uns auch der Frage widmen, was es während der langen Zeit tut, in der wir uns nicht mit ihm beschäftigen. Das Pferd als Herdentier, das rund 16 Stunden grast und sich dabei vorwärtsbewegt und mit seinen Artgenossen interagiert, ist nicht für eine reine Boxenhaltung geschaffen. Es lohnt sich also genauer hinzuschauen und sich entsprechende Gedanken zu machen. 

PP-Folie von Barbara Padalino

 

Die IENA Academy

Das Projekt IENA Academy wurde mit dem Ziel ins Leben gerufen, Pferdebesitzer*innen vertiefte Kenntnisse über die Haltung und Ausbildung ihrer Pferde zu vermitteln. Die IENA Academy ist frei zugänglich und wird durch eine grosse philanthropische Stiftung finanziell unterstützt, wodurch die Kursgebühren tief gehalten werden können.

Die nächsten Veranstaltungen der IENA Academy

15. Juli bis 11. August 2022
Entdeckungstage rund um das Pferd

Während der Sommerferien können Kinder ab sieben Jahren die Welt der Pferde aus nächster Nähe entdecken. Tagesprogramm von 8.30 bis 16.30 Uhr (Kinderbetreuung ab 8.00 Uhr), Snacks inbegriffen. Das Kind muss sein Mittags-Picknick mitbringen. Preis: CHF 80.–

03. September 2022

6. IENA Academy-Seminar
Resozialisierung und Sozialisierung des Pferdes –
eine Herausforderung für das Wohlbefinden?

Infos und Anmeldung unter www.iena.ch

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