Sattel- und Gebisslos – Freiheit pur?

Jeden Sommer fahre ich mit meinem Pferd ans Meer. Dieses Erlebnis tut seiner und meiner Seele gut. Jedes Jahr stelle ich mir auch vor, wie es wohl wäre ganz frei ohne Sattel und Zaum mit meinem Black Beauty über den Strand zu galoppieren und danach ein erfrischendes Bad im Meer zu nehmen. Dieses Glück ist für mich nur in Theorie da… – eine romantische wilde Idee. Leider ist mein Black Beauty aufgrund seines hohen Widerristes nicht sehr komfortabel zu sitzen, was ich erst kürzlich einmal in der Halle ausprobiert habe, also greife ich lieber zum Sattel. Gebisslos wäre durchaus eine Option, doch überschäumt er vor Freude, wenn er am Strand die Hacken hochnimmt und ich bin mir ehrlich gesagt nicht sicher, ob ich ihn dann mit einem gebisslosen Zaum – nicht Hackamore –  halten könnte. Da wir nicht die Einzigen am Strand sind, sagt mir meine Vernunft, tu es nicht!

Foto: Shutterstock No. 1374938750

Ein solch freies Reiten ausserhalb eines geschützten Rahmens könnte für den Reiter, das Pferd und Dritte fatale Folgen haben. Wie ist das rechtlich gesehen, wenn es zu einem Unfall kommt? Muss ich wirklich im Verkehr mit Sattel und Zaum reiten?

Der Sommer animiert zu Ausritten, zum Baden mit dem Pferd an bestimmt zugeordneten Stellen am See und dabei ist zu beachten, dass wir immer auch andere Verkehrsteilnehmer zu berücksichtigen haben. Das Pferd ist auch ein Verkehrsteilnehmer und der Reiter hat dafür zu sorgen, dass zusammen die Verkehrsregeln eingehalten werden. Das heisst, nicht unkontrolliert in die Strasse rennen, Abstand zu anderen Verkehrsteilnehmern wahren, entsprechende Gebots- und Verbotstafeln beachten und sich ebenfalls rücksichtvoll verhalten.

Nun stellt sich die Frage, können wir das alles im Strassenverkehr bzw. im Gelände absichern, wenn wir nur minimale Einwirkungsmöglichkeiten auf den Vierbeiner haben? Die Antwort ist wohl eher nein und damit habe ich auch schon eigentlich alles über die Haftungsfrage im Grundsatz erläutert.

Selbst mit dem verkehrssichersten Pferd kann eine unvorhergesehene Situation eintreten, die letztlich zu einem Unfall führen kann. Die Versicherung wird in diesem Zusammenhang ganz objektiv gemäss einer Checkliste die einzelnen Punkte abhaken, um die Haftungsfrage zu klären. Die Tatsache, dass vielleicht «Stardust» noch nie im Gelände durchgegangen ist, kann mildernd wirken, doch nicht von der Haft befreien, wenn nachgewiesen werden kann, dass bei korrekter Zäumung – und damit ist ein Gebisszäumung und ein Sattel als Standard anzusehen – ein solcher Unfall hätte vermieden werden können.

Das heisst, dass der Reiter sich zivilrechtlich und strafrechtlich verantworten muss, da er nicht die üblichen Vorkehrungen getroffen hat, um derartige Schäden zu vermeiden.

Im Strassenverkehr ordnet Art. 26 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG, SR 741.01) an, dass sich jedermann im Verkehr so zu verhalten hat, dass er andere in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse weder behindert doch gefährdet. Besondere Vorsicht ist geboten gegenüber Kindern, Gebrechlichen und alten Leuten, ebenso wenn Anzeichen dafür bestehen, dass sich ein Strassenbenützer nicht richtig verhalten wird. Art. 50 SVG ist sodann explizit an Reiter und Tiere gerichtet. So besagt Abs. 1, dass sich Reiter am rechten Strassenrand zu halten haben. In Abs. 4 wird präzisiert: Für ihr Verhalten im Verkehr haben die Reiter und Führer von Tieren die Regeln des Fahrverkehrs (Einspuren, Vortritt, Zeichengebung usw.) sinngemäss zu beachten. Die Verkehrsregelverordnung (VRV, SR 741.11) regelt dies eindeutiger im 2. Abschnitt: «Reiter, Tiere» – speziell in Art. 51 bis 53 VRV.

Art. 51 Reiter

(Art. 50 Abs. 1 und 4 SVG)

1 Auf Strassen mit starkem Verkehr dürfen nur geübte Reiter und nur auf verkehrsgewohnten Tieren reiten. Ein Reiter darf höchstens ein Handpferd mitführen.

2 Das Reiten zu zweit nebeneinander ist nur gestattet in einem geschlossenen Verband von wenigstens sechs Reitern sowie ausserorts bei Tag auf Strassen mit schwachem Verkehr.

Art. 52 Einzelne Tiere, Herden

(Art. 50 Abs. 2–4 SVG)

1 Wer ein Tier führt, muss es ständig in seiner Gewalt haben. Tiere dürfen nur geeigneten Führern anvertraut werden.

2 Ein einzelnes Tier darf in Berggegenden am linken Strassenrand geführt werden, wenn Führer und Tier dort sicherer sind.

3 Stillstehende Tiere dürfen den Verkehr nicht behindern; sind sie unbeaufsichtigt, so müssen sie zuverlässig angebunden werden.

4 Die Begleiter von Herden haben auf Hauptstrassen dafür zu sorgen, dass die linke Strassenseite frei bleibt. Bei Bahnübergängen ist die Herde nötigenfalls zu unterteilen.

Art. 53 Gemeinsame Bestimmungen (Art. 50 SVG)

1 Reiterkolonnen und Tierherden sind nach Möglichkeit zu unterteilen, um das Überholen zu erleichtern.

2 Nachts und wenn die Witterung es erfordert, hat der Reiter und der Führer eines Tieres wenigstens auf der dem Verkehr zugewendeten Seite ein von vorne und hinten sichtbares, nicht blendendes gelbes Licht zu tragen. Das Reittier ist zudem mit rückstrahlenden Gamaschen zu versehen. Bei Reiterkolonnen und Tiergruppen muss wenigstens links vorne und hinten ein gelbes Licht verwendet werden.

Liest man die Verordnung genau durch, ist auch gleich ersichtlich, welche Punkte strikt eingehalten werden müssen, die auch die Haftungsfrage tangieren (siehe rot markiert). Werden diese Vorgaben im Strassenverkehr nicht eingehalten, begibt man sich somit in eine Zone, in welcher man aus zivilrechtlicher und strafrechtlicher Sicht haftbar gemacht werden kann, wenn aufgrund eines Fehlverhaltens des Reiters oder Tierführers ein Unfall passiert. Im Gelände muss sich der Reiter darüber ebenso im Klaren sein.

Der Traum von gebiss- und sattellos durch die Gegend zu galoppieren oder auch nur spazieren zu reiten, kann letztlich einen bitteren Abgang nehmen. Bestenfalls nur für das Portemonnaie und im schlechtesten Fall als lebenslange Last. Das bedeutet nicht, dass man gänzlich auf gebisslose Zäumung oder sattellose Ritte verzichten muss, nur, dass man dies bitte an Orten machen soll, die einen geschützten Rahmen bieten, damit das Risiko minimiert werden kann. Wir sind dabei angehalten das Risiko abzuwägen – dazu gehören unter anderem die Überlegungen: Wo kann ich so reiten? Wann ist der beste Zeitpunkt? Wie ist mein Pferd gestrickt? Was kann ich beitragen, um das Risiko zu reduzieren?  Dann ist dem Spassfaktor rein rechtlich nichts mehr im Wege! Ein Restrisiko besteht immer – so ist aber auch das Leben…

Text: Lara Beaudouin, Rechtsanwältin Beaudouin Advokatur Nidwalden
Erschienen im WESTERNER Ausgabe 0820

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