Jede Minute zählt – Albtraum Vergiftung

Der beste Freund von Pferd und Reiter ist vermutlich der Hund. Viele von uns haben auf den gemeinsamen Ausritten einen treuen Begleiter an ihrer Seite. Was, wenn es mitten im Wald von einer Minute auf die andere plötzlich um Leben und Tod geht?  

9.30 Uhr: Unter einer orangen Fliessdecke, flankiert von zwei wärmenden Bettflaschen liegt unsere Hündin. Es ist sehr ernst – ein Team von zwei Tierärztinnen und zwei Praxisassistentinnen versuchen in professioneller Hektik ihr Leben zu retten.

Als an diesem Dienstagmorgen um 6.00 Uhr der Wecker losging, war die Welt noch in Ordnung. Meine Kaffeemaschine füllte blubbernd die Tasse, ich öffnete einen spaltbreit die Verandatür zum Garten und Moira und Saga sprangen raus um ihr «Bisi» zu machen. Gegen 8.00 Uhr packte ich die beiden für den Morgenspaziergang ins Auto. Nach einem Zwischenstopp im Volg Waltenschwil, liefen wir etwas ausserhalb vom Dorf um etwa 8.15 Uhr los. Putzmunter wurde geschnüffelt, gerannt, gespielt. Es war ein wunderbarer Morgen. Sie Sonne stand tief, ihre Strahlen suchten den Weg durch die Baumstämme und liessen das Moos in einem kräftigen Grün erleuchten. Saga, unsere Kleine, kam auf eine Wildspur und zog heftig an der Leine. Ich lenkte sie spielerisch davon ab. Etwa 50 Meter weiter wurde sie plötzlich, obschon das morgendliche Geschäft bereits erledigt war, von akutem Durchfall geplagt. Wie eine Fontäne kam es hinten raus. Nanu, dachte ich und ging im Kopf die Dinge durch, die ich ihr am Tag zuvor zu fressen gab. Keine 20 Schritte weiter setzte sie sich sichtlich gestresst wieder hin. Diesmal kam eine transparente, schleimige Flüssigkeit. Zudem fing sie stark an zu speicheln. Meine inneren Alarmglocken schrillten und mein Verstand schärfte sich. Ich überlegte mir den kürzesten Weg zurück zum Auto und marschierte los. Ausgerechnet jetzt kam ein Spaziergänger mit einem freilaufenden schwarzen Schäfer um die Ecke. Als der Hund uns sah, war er nicht mehr abrufbar und kam zügig auf uns zu. Ich war angespannt und etwas nervös, was sich auf Moira unsere andere Hündin übertrug, sie fing heftig an zu bellen und der Schäfer stellte seine Nackenhaare – nicht gut. Bestimmend ging ich ein zwei Schritte auf den Hund zu und befahl ihm umzukehren. Dies entschärfte die Situation gerade so lange, bis ihn sein Herrchen unter Kontrolle hatte. Wertvolle Zeit ging verloren. Er entschuldigte sich. Ich gab mir Mühe höflich zu bleiben.  

Ein paar Schritte weiter konnte Saga mit dem Tempo nicht mehr mithalten. Kurzerhand packte ich sie unter meine Arme und fing an zu laufen. Bis zum Auto waren es noch gut zehn, wenn nicht fünfzehn Minuten. Der Trampelpfad war rutschig und wir kamen nur mühsam voran. Ich fühlte mich wie in einem Albtraum gefangen. Der Kleinen ging es immer schlechter. Sie speichelte stark, ihre Schnauze war ganz schleimig und nass. Ich musste Saga zweimal absetzen, weil sie erbrechen musste. Sie konnte kaum stehen, kippte immer wieder zur Seite. Endlich beim Auto angekommen, packte ich das zitternde Bündel in eine Decke auf den Rücksitz. Beim losfahren wählte ich die Nummer unserer Tierklinik in Villmergen und kündigte einen Notfall mit Verdacht auf Vergiftung an. Es war kurz nach 9.00 Uhr als wir eintrafen. Ich war seltsam ruhig, obschon ich spürte, dass es sehr ernst war.

10.30 Uhr: Nicht mehr so akut, aber noch nicht über dem Berg

Saga war stark dehydriert und ihre Körpertemperatur lag irgendwo zwischen 35 und 36 Grad (normal beim Hund wären 38 bis 39 Grad). Eingepackt in eine Decke und flankiert von zwei Bettflaschen, kämpfte man gegen die Unterkühlung an. Sie zuckte, krampfte, speichelte und schied immer wieder ein seltsames, glibberiges Sekret aus. Die junge Hündin war bereits in einem komatösen Zustand, als Tierärztin Franziska Hilfiker ihr erfolgreich eine Magensonde setzen und Aktivkohle verabreichen konnte. Zudem bekam sie ein Mittel gegen Übelkeit und etwas gegen die Krämpfe. Nun lag sie da, am Tropf unter der Decke mit den Wärmeflaschen. Wir massierten Bauch und Pfoten um zu entspannen und um den Kreislauf wieder in Schwung zu bringen. Es war alles Mögliche getan, wir konnten nur noch warten und hoffen.

Was war geschehen?

Während sich das Drama in der Praxis abspielte, nahm die Tierärztin einen starken Geruch nach Pilzen war. Seit 25 Jahren haben wir Hunde, keiner frass Pilze doch Saga findet sie köstlich. Natürlich lasse ich sie keine fressen, aber verhindern lässt es sich manchmal nicht – Hunde sind blitzschnell wenn es um Futter geht. Ich habe aber auch immer wieder festgestellt, dass sie wählerisch ist. An manchen geht sie achtlos vorbei, es gab sogar auch welche, die sie gleich wieder fallen liess. Doch auf den Parasol, auf den steht sie regelrecht! Es war logisch, es musste eine Pilzvergiftung sein. Ich grenzte den Übeltäter auch gleich auf unseren Garten ein. Tatsächlich fand ich dort Pilze ohne Köpfe und die Vermutung lag nahe, dass sie an diesem Morgen bei ihrem «Bisi» schon mal ein «Petit déjeuner» zu sich nahm. Um abschätzen zu können, mit welchen Spätfolgen wir rechnen mussten, riet mir die Tierärztin den Pilz analysieren zu lassen. In Margrit Strebel fand ich eine Pilzfachfrau, mit über 30-jähriger Erfahrung. Zudem wird sie gerne von Spitälern zur Diagnostik hinzugezogen. Ich packte also die Pilze plus die Überreste in eine Schachtel und hinterlegte diese in Frau Strebels Briefkasten. Eine Stunde später kam bereits ihr Anruf und ich griff nach Papier und Kuli um den Namen des Übeltäters zu notieren. «Liebe Frau Fischer», begann Margrit Strebel, «ich habe ihren Pilz angeschaut und sogar unter dem Mikroskop analysiert. Was in ihrem Garten wächst, ist völlig harmlos. Ihr Hund kann unmöglich eine Pilzvergiftung erlitten haben». Ich war erst mal sprachlos. «Aber es roch regelrecht nach Pilz. Der ganze Praxisraum stank danach. Es musste ein Pilz sein», erklärte ich und erzählte ihr den Verlauf und die Symptome. «Erst recht unmöglich», entgegnete sie, «eine Pilzvergiftung verläuft ganz anders. Niemals in dieser kurzen Zeitspanne. Zudem kommen erst Bauchkrämpfe, Übelkeit und Erbrechen und viel später Ausscheidungen über den Darm – falls es überhaupt soweit kommt. Ihr Hund muss etwas anderes erwischt haben. Ich würde von einem Giftköder ausgehen». Das ganze nahm augenblicklich eine andere Dimension an.

Saga unsere kleine Maus, Jack Russel Terrier, achteinhalb Monate alt und 5,4 Kilo schwer, ist unser Sonnenschein. Sie überlebte den vermeintlichen Giftanschlag, hob zwei Stunden später das erste Mal wieder ihren Kopf und schaute mir noch etwas gequält in die Augen. Am selben Abend gegen 18.30 Uhr durfte ich sie mit nach Hause nehmen. Wir sind überglücklich und danken dem Team von der Kleintierpraxis 4 Pfoten in Villmergen und Tierärztin Franziska Hilfiker von ganzem Herzen für ihren beispiellosen Einsatz.

18.30: Es geht Saga sichtlich besser, sie darf über Nacht mit nach Hause

Notfall Vergiftung – jede Minute zählt

«Hätten sie nicht so schnell reagiert, wäre jede Hilfe zu spät gekommen. Eine halbe Stunde später und sie wäre gestorben», sagte mir Tierärztin Franziska Hilfiker in einer ruhigen Minute. Sollten sie in eine Situation kommen und ihr Hund zeigt Vergiftungssymptome, überlegen sie nicht lange und bringen sie ihn so schnell wie es irgendwie geht zum Tierarzt. Am besten rufen sie vorher an und kündigen einen Vergiftungs-Notfall an. Das Praxisteam kann bis zu ihrem Eintreffen zeitsparende und somit lebensrettende Vorbereitungen treffen. Saga wiegt etwas über 5 Kilo und ich konnte sie tragen. Nicht auszudenken welche Wendung diese Geschichte genommen hätte, wenn sie einer grösseren Hunderasse angehören würde. Darum immer ein Handy mittragen. So kann man notfalls Hilfe anfordern.

Handy-Ortung

Sitzt man auf dem Pferd, kann man sich unschwer ausmalen wie kritisch die Situation werden kann. Die Handy-Ortung kann besonders im Notfall Leben retten.

Aktivkohle adsorbiert schnell, universell und mit hoher Kapazität eine Vielzahl von Giften. Dies gilt im Übrigen auch für den Menschen. Als Erste-Hilfe-Massnahme bei Verdacht auf eine Vergiftung, kann die Verabreichung von Aktivkohle im Wettlauf mit der Zeit wertvolle Minuten sparen. Die Frage stellt sich nur, wie man es in einer akuten Situation dem Hund verabreichen kann. Darum nicht lange probieren, lieber mit «Blaulicht» zum Tierarzt. Wenn möglich sollte jemand am Steuer sitzen, der einen kühlen Kopf bewahren kann.

Die toxikologische Analyse läuft. Sollte sich der Verdacht auf einen Giftköder bestätigen, wird Anzeige erstattet.

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